"Die jungen Leute werden mir fehlen"
Westfalenblatt Nr. 9 Mittwoch, 11.01.2017
Für sie ist es die schönste Aufgabe, die es gibt. »Es ist doch eine erfüllende Arbeit, junge Leute in einer Phase zu begleiten, in der sie sich auf den Weg in die Welt machen«, sagt Doris Römer. DieLeiterin des Anna-Siemsen-Berufskollegs(ASB) wird das sehr vermissen, wenn sie am 27. Januar in den Ruhestand geht.
Wenn ihr 1978 als junge Referendarin am Herforder ASB jemand gesagt hätte, dass sie an der gleichen Schule auch in Rente gehen würde, »ich hätte ihn ausgelacht«, sagt die 65-Jährige. Denn als »rheinische Frohnatur« aus dem Ruhrpott ins eher biedere Ostwestfalen geschickt zu werden, das ging ihr vor 40 Jahren quer runter. »Ich habe wirklich damals gedacht, hier seien die Uhren stehen geblieben.« Dass das nicht so war, merkte die junge Lehrerin für Mathematik und Sozialwissenschaften dann aber doch relativ schnell. Denn aus dem kleinen Anna-Siemsen-Kolleg hat sich eine Bildungseinrichtung mit 1450 Schülern entwickelt. Und an diesem Erfolg hat Doris Römer großen Anteil. Die Herforderin ist eine Frau, die zupacken kann. Man würde sagen: Sie ist eine Powerfrau, durch und durch. Auch diese Qualität hat sicher 1999 dazu beigetragen, dass sie eine der wenigen Leitungspositionen bekommen hat. Zu der Zeit waren von 35 Schulleitungen in Nordrhein- Westfalen gerade mal vier mit Frauen besetzt. »Heute ist das nichts Besonderes mehr, auch in Herford«, sagt Doris Römer. Sie führe nicht mit eiserner Hand, aber auch nicht mit Samthandschuhen. Aber neben den Schülern wollen auch 100 Lehrer wissen, wo es langgeht. »Wichtig ist mir immer gewesen, dass die Pädagogen Eigenverantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten haben. Sie sollen selbstständig arbeiten dürfen. Ich kann ja nicht alles allein machen, wir sind ein kompetentes Team.« Das sei zwar manchmal ein Eiertanz, aber sie als Leiterin bilde die Klammer, die alles zusammenhalte. Auf Widerstände im Kollegium sei sie mit diesem Führungsstil nicht gestoßen, erinnert sich die Direktorin. »Beim ersten Konflikt war ich noch erschrocken. Aber ich hatte nie Scheu davor, auch unangenehme Personalgespräche zu führen. Manchmal muss das sein.«
Einen engen Draht zu ihren Schülern wollte Doris Römer auch als Leiterin des Anna-Siemsen-Berufskollegs behalten, deshalb hat sie auch als Chefin der Schule noch einige Stunden in der Woche Mathematik unterrichtet. »Da behält man den Bezug zur Realität. Außerdem ist die Jugend so lebendig. Das wird mir im Ruhestand wohl am meisten fehlen«, glaubt Doris Römer. Für sie sei der Lehrerberuf immer ein Traumjob gewesen, insbesondere die Arbeit am Kolleg. Die jungen Leute würden im Rahmen des dualen Systems für ihren Beruf lernen oder sich für ihren weiteren beruflichen Lebensweg qualifizieren. Das Anna-Siemsen-Kolleg sei eine »bunte Schule«, die Vielfalt sei das Spannende. »An unserem Kolleg ist immer Bewegung. Ohne Veränderung wäre es doch langweilig.« Verständnis und Einfühlungsvermögen sind Eigenschaften, die man als Pädagoge, insbesondere aber auch als Schulleiterin mitbringen sollte. Es gebe Schüler, so die 65- Jährige, die kämen aus schwierigen Verhältnissen. »Wenn da plötzlich jemand über die Stränge schlägt, geht es nicht nur um Zurechtweisung. Man blickt manchmal auf Tragödien.« Auch jungen Menschen müsse man mit Respekt und Freundlichkeit begegnen, man müsse sie ernst nehmen. Schüler, die sich dennoch nicht an Regeln und Pflichten halten, würden dann auch im Ernstfall zur Direktorin bestellt. Doris Römer: »Es kommt vor, dass ich uneinsichtige Schüler vom Unterricht suspendieren muss. Junge Menschen brauchen auch Grenzen.« Kann sie denn auch richtig laut werden? »Natürlich könnte ich das. Aber wenn ich mich aufrege, werde ich eher leise. Dann sollte man vorsichtig sein.«
Am 27. Januar wird Doris Römer nun in den Ruhestand verabschiedet. »Dann kann ich endlich machen, was ich will. Ich könnte zum Beispiel reisen, wenn ich nämlich meine drei Kinder besuchen möchte.« Auch ein Ehrenamt könne sie sich vorstellen, »aber nichts mit Schule oder Jugend«. Aber Pläne will die Schulleiterin eigentlich nicht machen. Doris Römer sagt: »Ich will erst mal versuchen, loszulassen, zu Hause ankommen. Und dann setze ich mich mal wieder ans Klavier oder spiele auf der Gitarre.«